ALFONS PAQUET – Lebensstationen

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CHRONIST DES BOMBENKRIEGES

„Vorgestern sah ich zwischen drei und fünf Uhr nachts den schönen Saalhof, der auf der Mainseite uns gegenüber liegt, lichterloh brennen. Ein Schauspiel von luziferischer Größe und Schönheit. Nun hat die wunderschöne geschlossene Mainseite ein paar häßliche Lücken. Auch in der Altstadt sind Brandlöcher; selbst das Goethehaus ist am Giebel verstümmelt. Und noch kein Ende. So mag es Plinius zumute gewesen sein als er Pompeji unter Asche und Lava verschwinden sah."
(Paquet Ende November 1943 in einem Brief)

In der Frankfurter Zeitung erschienen 1943 vor ihrer verordneten Schließung eine Reihe von Stadtporträts, die Paquet quasi als Erinnerung an seine geliebten Städte am Rhein verfaßte. Städte, die nun nacheinander im Bombenhagel versanken. Aber Paquet blickte nicht nur wehmütig auf die Vergangenheit zurück und beschrieb in Aufzeichnungen und Briefen den sich ausbreitenden Bombenkrieg über Deutschland; er sah auch den Terror des Dritten Reichs.

„Ich habe gestern so bedrückendes erlebt, dass ich noch ganz krank bin. Als ich am Sonntagmorgen durch die Stadt kam, sah ich an der Hauptwache eine kleine schwarzgekleidete Jüdin, mit einer Plaidrolle in der Hand, begleitet von zwei Goldbraun (?) gekleideten, auf die Trambahn warten, kurz darauf vernahm ich, dass eine grössere Aktion im Gange sei, hörte von Einzelheiten, besuchte Bekannte in einem Hause, das in voller Aufregung war, sah zurückkehrend an der selben Haltestelle wie vorhin abermals eine solche, fast verlegene Eskorte für zwei gut gekleidete, fast siebzigjährige Leute, der alte Herr trug einen Überzieher und einen Wintermantel - mit dem gelben Stern - über dem Arm, an den Füssen Galoschen, die alte Frau einen offenen Korb aus der die Thermosflasche und allerlei Reisezeug herausschaute. So in kleinen Gruppen, in Zügen und Trupps wurden den ganzen Tag die Leute zur Grossmarkthalle gebracht. Das seltsame Gebäude, in weitem Kreise abgesperrt, lag grau da im dünnen Regen. An neugierigen Lungernden vorbei ging die trostlose Wanderung der mit ihren Bündeln, Rucksäcken, Koffern Beladen(en), man stellte sie am Rand des Platzes vor einen Schuppen, der an der Seite die grosse weisse Aufschrift trug SCHÜTZT DIE TIERE, das Gepäck wurde abgestellt und anscheinend nochmals durchsucht wie in einer Zollstation unter freiem Himmel ehe es in das grosse Gebäude weiterging. Am erschreckensten aber war die Stumpfheit und der Hohn der Menschen. Es waren kleine Szenen, wie sie Goya gezeichnet hat. So hat Daumier die Menschen gesehen in ihrer groben wuchtigen Tierheit. Ich versuchte mit meinem Ausweis Zutritt in die Halle zu erlangen, wurde aber zurückgewiesen und ging fort. Der ganze Umkreis trug noch das Gepräge dieses Geschehens, an den Strassenbahnhaltestellen Leute, die stumm warteten, andere triumphierten gegen eine alte Frau, die dann wegging: Für Juden gäbe es keine Straßenbahn. Ist nun das alles der Abschluss einer tausendjährigen Episode in dieser Stadt? Was bedeutet diese furchtbare Urteilsvollstreckung für den Angeklagten, dem jeder Anwalt, selbst der Offizialverteidiger versagt ist, den selbst das strenge Kriegsrecht noch kennt. Und was bedeutet es für die anderen, die wie jene am Karfreitag schreien: Bist du Gottes Sohn, dann steige herab vom Kreuz und hilf dir selbst. Es heisst, dass alle diese Unglücklichen nach Lodz, Litzmannstadt geschickt werden, dessen Ghetto längst überfüllt ist. Es wird eine Reise sein, die Wochen dauert, in Güterzügen, man wagt es nicht sich Einzelheiten auszumalen. Es scheint, dieselbe Sache ist auch in anderen Städten im Gange und wird nicht zuende kommen eh nicht die Letzten ausgestossen sind. Und doch sind das alles nur Teile der grausigen Dinge, die im Osten geschehen. Der vorige Krieg war noch mild dagegen. Aber die steinernen Tafeln der zehn Gebote sind zerschlagen, die Dämonen losgebunden worden."
(Paquet in einem Brief am 20.10.1941, am Tag nach der ersten großen Deportationsaktion in Frankfurt)

 

 

Noch in den Tagen vor seinem Tod skizzierte er zwischen den Luftalarmen an seinem Schreibtisch die Eindrücke von Spaziergängen durch das von ersten schweren Angriffen heimgesuchte Frankfurt. Im Luftschutzkeller starb er auch an einem Herzanfall nach einer Angriffswelle. Bei seiner Beerdigung lagen rund um das Grab ausgeglühte Brandbomben zwischen den ersten Frühlingsblumen.

„Wir begeben uns, nachdem Mappe, Schreibmaschine, Telephonapparat, das Waschnecessaire in den Aufzug gebracht sind, in den Keller. Da alles vorbereitet und schon oft exerziert ist, geht das rasch. Die Hausgenossen finden sich ebenfalls im Keller ein, die drei Soldaten, sämtliche Mediziner verschiedener Semester und die Medizinstudentin aus Schlesien. Man hört Bomben. Näherkommendes Donnern. Keine Flak. Schwere Einschläge. Der Keller bebt. Klirren. Pause. Die Studenten eilen, im Haus nachzusehen. Draußen brennt es, der Dachstock des erneuerten Hauses der Schwestern. Im Garten brennt ein Stück Rasen. Wohl von einem Kanister. Nochmals näher die Einschläge. Erschütterungen. Kalte Hände. Sitzen in den Lehnstühlen an der Steintreppe. Zeitweise die Stahltür des Kellers geschlossen. [...] Nochmals Einschläge. Der Keller bebt. Das elektrische Licht geht aus. Nur eine Kerze brennt. Starker Benzingeruch, aber kein Staub oder Rauch. Eine Zeitlang Ruhe.“
(aus: Die Katastrophe, Aufzeichnungen Paquets aus dem Januar und Februar 1944)

 

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